Stolpersteinschwelle zur Erinnerung an Zwangsarbeit bei BASF

 

Michael Heinz, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor der BASF SE, und Monika Kleinschnitger, Sprecherin des Vereins „Ludwigshafen setzt Stolpersteine e.V.“, verlegten am 25. Mai 2021 vor dem Besucherzentrum der BASF in Ludwigshafen eine Stolperschwelle zur Erinnerung an mehr als 30.000 Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in den Werken Ludwigshafen und Oppau der damaligen I.G. Farben arbeiten mussten.

 

Rede von Monika Kleinschnitger, Sprecherin des Vereins „Ludwigshafen setzt Stolpersteine“, zur Verlegung der Stolperschwelle am 25. Mai 2021 vor dem Besucherzentrum der BASF in Ludwigshafen:

 

Liebe Frau Oberbürgermeisterin Steinruck, lieber Herr Heinz, lieber Herr Horvat, meine Damen und Herren,

 

295 Stolpersteine liegen inzwischen im Ludwigshafener Pflaster. Mehr als 75.000 Stolpersteine sind es in Deutschland und international. Gunter Demnig hat gemeinsam mit vielen  Ehrenamtlichen vor Ort das größte dezentrale Mahnmal geschaffen. Stolpersteine erinnern an Frauen, Männer und Kinder, die Opfer der Nationalsozialisten wurden. Sie waren rechtlos, wurden gedemütigt und verachtet, verjagt, deportiert und ermordet. Dort, wo sie lebten, gibt es oft keine Erinnerung mehr an sie. Stolpersteine ändern das. Die Verlegeorte verweisen darauf, wo ihr Leben stattgefunden hat, aber auch das Verbrechen an ihnen. Dadurch werden die Opfer mit ihrem Namen und Schicksal wieder sichtbar. Die Inschriften auf den 10x10cm großen Messingplatten der Stolpersteine enthüllen in knappen Worten den Lebensweg des Menschen und weisen auf den letzten freiwillig gewählten Wohnort hin. Es sind 295 Tatorte, die das Netz der Gewalt in unserer Stadt in der Zeit von 1933 bis 1945 dokumentieren.

 

Die Stolperschwelle, die wir heute verlegen, gibt unserer Stadt ein weiteres Erinnerungsmaß, denn sie macht die lange nahezu unsichtbare Firmengeschichte der IG Farben Werke Ludwigshafen und Oppau vor allem zwischen den Jahren 1939 und 1945 wieder sichtbar. Die Maße von 65cm Breite, 10 cm Tiefe und 10 cm Höhe stehen für die ungeheure Zahl von 30.000 Menschen, die in den Werken der IG Farben Ludwigshafen und Oppau Zwangsarbeit leisten mussten. Diese Stolperschwelle zeigt uns das Ausmaß der Gewalt und des Zwangs an 30.000 Menschen in den verschiedensten Ausformungen: Rassismus, Entrechtung, Erniedrigung und Ausbeutung. Für die Menschen bedeutete dies ein Dasein am Rande des physischen Existenzminimums. Umgesetzt mit Hilfe einer brutalen Disziplinierungspraxis, die die Ordnung in den Lagern und Betrieben aufrechterhielt. Ein firmeneigenes Schreckensregiment, das das System der totalen Kriegswirtschaft im Inneren zusammenhielt.

 

Doch: Eine Diktatur trägt sich nicht allein durch den Terror und die Geheimpolizei, sondern vor allem durch die Zustimmung und die Kollaboration großer Teile der Gesellschaft. Auch in Ludwigshafen stützten die Firmen und vor allem die Menschen das System des Terrors.

 

Hören wir kurz die Opfer selbst sprechen:

Nikolai Nikitovitsch D., 1927 in Dnjepropetrovsk (Ukraine) geboren, wurde als Jugendlicher nach Deutschland deportiert und war Zwangsarbeiter bei der IG Farben Ludwigshafen:

„Und welche Erniedrigung erwartete uns in Ludwigshafen. Als man uns vom Bahnhof ins Lager trieb, begleitete uns eine Schar kleiner Kinder, die uns bespuckten, mit Steinen und Schmutz bewarf und uns Hunde, Ochsen und Schweine nannten. Wir wussten damals noch nicht, was diese Wörter bedeuteten, erst später erfuhren wir es. […]

Das Urteil über die in Deutschland verbrachten Jahre ist natürlich schlecht. Was am schlimmsten war, dass man ständig Hunger hatte. […] Der rothaarige Chefkoch beobachtete uns aus dem Ausgabefenster und wenn er sah, dass du aus der Suppe eine Made herausgefischt und auf den Tisch gelegt hattest, so sprang er aus dem Fenster und stülpte dir die Schüssel mit der Suppe über den Kopf. Oder wenn er jemanden sah, der in der Abfallgrube wühlte, so ließ er den Schäferhund auf ihn los. Bei der Rückkehr von der Arbeit wurde man von der deutschen Polizei durchsucht, und wenn etwas, besonders Lebensmittel gefunden wurden, so wurde es weggenommen und man wurde geschlagen.  […] Was Bestrafungen überhaupt angeht, so wurden die, die sich sehr schuldig gemacht hatten, in irgendein Konzentrationslager geschickt.“

 

Zu lange sah die Mehrzahl westdeutscher Firmen – darunter auch die BASF – keinen Grund, nach eigener Schuld zu suchen oder sich mit ihrer Rolle im Vernichtungskrieg auch nur zu befassen.

 

Zu lange war der Umgang deutscher Firmen mit ihrer NS-Vergangenheit eher schäbig, arm an Mitgefühl und Verantwortungssinn und geprägt davon, Zahlungen und Schuldeingeständnisse nur in unbedingt notwendigem Umfang zu leisten. Und noch wichtiger schien: Die Täter waren noch am Leben und oft genug in entscheidender Funktion auch nach 1945 in das Unternehmen eingebunden.

 

Und heute – wo stehen wir im Jahr 2021?

Gedenken – Nachdenken – Umdenken – dieser neue Dreischritt der BASF in der Beschäftigung mit der eigenen Unternehmensgeschichte stellt die Opfer in den Mittelpunkt. Das ist gut und das ist lange überfällig. Wiedergutmachung ist damit zwar kaum möglich, denn die Opfer leben meist nicht mehr. 30.000 Opfer – das ist das Maß der Stolperschwelle. Sie macht diesen Teil der Firmengeschichte wieder sichtbar und damit auch das erlittene Unrecht der Opfer.

 

Ich schätze dieses ganz persönliche Engagement für eine glaubwürdige Erinnerungskultur von Ihnen sehr, Herr Heinz und Herr Horvat. Sie beziehen Position und Haltung in einer Zeit, die uns alle fordert: für Demokratie, gegen Rassismus und Antisemitismus.

 

Ich bin heute hier nicht nur als Sprecherin des Vereins Ludwigshafen setzt Stolpersteine, sondern als Bürgerin dieser Stadt. Für uns alle gilt die Verpflichtung auf Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die moralische Verpflichtung, die Würde des Menschen immer und zu allen Zeiten zu verteidigen, gilt für uns alle jeden Tag.


Das Zitat von Nikolai Nikitovitsch D. stammt aus dem Buch „Man machte mit uns, was man wollte“ von Eginhard Scharf, 2004

 


 

Für die BASF bildet die Verlegung der Stolperschwelle den Auftakt zu einer Initiative „Gedenken. Nachdenken. Umdenken“. In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte KZ Osthofen soll ein Seminarprogramm für die Mitarbeitenden der BASF in Ludwigshafen entwickelt werden.

 

–> Pressemitteilung der BASF zur Verlegung der Stolperschwelle