Dr. Edgar Strauss

Wredestraße 10a

Dr. Edgar Strauss war Jurist und wurde 1933 aus dem Referendardienst entlassen. 1939 konnte er nach England ausreisen. Von dort aus gelangte er nach Kanada.

Biografie

Recherchiert von Schülern des Theodor-Heuss-Gymnasiums 2009

 

Am 11. Juni 1909 wurde Edgar Strauss als Sohn des Kaufmanns und Geschäftsinhabers Nathan Strauss (1876-1956) und seiner Frau Helene (1881-1936) in Ludwigshafen am Rhein geboren. Nathan Strauss war der 2. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Ludwigshafen.

 

Edgar Strauss besuchte ab September 1918 das Humanistische Gymnasium Ludwigshafen und legte dort 1927 erfolgreich die Reifeprüfung ab. Es folgte ein Jurastudium in Heidelberg, Berlin und München, das 1931 mit dem Examen in München abgeschlossen wurde. Während des anschließenden Referendariats promovierte Edgar Strauss 1932 zum Dr. jur. in Heidelberg. Bereits 1933 wurde Dr. Edgar Strauss gemäß des nationalsozialistischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Referendardienst entlassen und war danach im väterlichen Eisenwaren-Geschäft tätig.

 

Am 9. November 1938 wurde Edgar Strauss Augenzeuge der sogenannten „Reichskristallnacht“. Später hat er in seiner neuen Heimat Kanada bei Informationsveranstaltungen über seine schlimmen Erfahrungen in Nazideutschland berichtet, ebenso 1987 in einem Brief an Ulrike Minor (Veröffentlichung „Juden in Ludwigshafen“) und im Jahr 1999 in einem umfassenden Zeitzeugeninterview des Montreal Holocaust Memorial Centers. Nach einer Nacht im Gefängnis wurde Edgar Strauss am 10. November zusammen mit anderen verhafteten jüdischen Männern nach Dachau transportiert. Die Entlassung erfolgte im Dezember 1938 aufgrund der väterlichen Anforderung als wichtige Arbeitskraft. Allerdings wurde bereits Ende Dezember 1938 die „Arisierung“ der Eisenwarenhandlung erzwungen. Daraufhin belegte Edgar Strauss in Frankfurt am Main einen Kurs in Acetylen-Schweißen, was eine wesentliche Bedingung für die Erteilung eines britischen Visums war – wegen der Eignung für handwerkliche Tätigkeiten.

 

Im Juli 1939 erhielt er endlich dieses Visum für England und arbeitete in London zunächst als Metallarbeiter. Nach der Besetzung Frankreichs 1940 wurde Edgar Strauss zusammen mit anderen Flüchtlingen aus Deutschland als „feindlicher Ausländer“ interniert, unter anderem auf der Isle of Man.
Im Juni 1940 gelangte Edgar Strauss mit einem Flüchtlingstransport, der glücklicherweise nicht von deutschen U-Booten torpediert wurde, nach Kanada. Da die kanadischen Behörden seitens der Briten nicht rechtzeitig von diesem Transport informiert worden waren, kamen die deutschen Flüchtlinge, unter ihnen viele jüdische Emigranten, zunächst in ein Lager deutsche Kriegsgefangene. Diese für die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland kritische und psychisch belastende Situation konnte mit dem Eintreffen des britischen Verbindungsoffiziers einige Tage später beendet werden. Die Emigranten aus Deutschland wurden zunächst aus Sicherheitsgründen in Arbeitslagern interniert. Edgar Strauss arbeitete in einem Baumfällerlager in New Brunswick.

 

Ebenfalls 1940, am 22. Oktober, erfolgte die Deportation des Vaters Nathan Strauss und dessen Bruder Julius zusammen mit anderen jüdischen Bürgern aus der Pfalz und Baden nach Gurs, wo Julius Strauss 1942 an Unterernährung und Entkräftung starb. Nathan Strauss war gesundheitlich zu geschwächt, um in ein Vernichtungslager nach Osten transportiert zu werden und konnte so bis zur Befreiung in Frankreich bleiben. Im Jahr 1949 siedelte Nathan Strauss nach Kanada über und lebte bis zu seinem Tod 1956 bei seinem Sohn in Montreal. Dr. Edgar Strauss war in Kanada als Flüchtling anerkannt worden und erhielt die kanadische Staatsbürgerschaft. Nach der Entlassung aus dem Lager 1942 fand er Arbeit in der Kriegsindustrie. Er heiratete 1944 Lily Stein, die mit ihren Eltern aus Polen geflüchtet war. Nach Abschluss eines Ergänzungsstudiums in Abendkursen war er als selbständiger Wirtschaftsprüfer tätig.

 

Als aktives Mitglied nahm Edgar Strauss regen Anteil am Leben der Jüdischen Gemeinde in Montreal und half Überlebenden des Holocaust durch Übersetzung von Dokumenten ins Deutsche zur Vorlage bei deutschen Behörden. 1947 wurde Sohn Howard Strauss, der bis zu seiner Pensionierung im diplomatischen Dienst Kanadas stand, und 1948 Tochter Esther, die eine Professur für Psychologie an der Universität in Victoria/BC innehatte, geboren.

 

Esther Strauss, der sehr viele Informationen über ihren Vater und die Familie Strauss zu verdanken sind, starb im Sommer 2009. Sie hatte die Heimatstadt ihres Vaters zehn Jahre zuvor besucht und anhand von Fotos und Aufzeichnungen alle wichtigen Erinnerungsstätten erkundet. Beide Kinder von Dr. Edgar Strauss haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie verstehen dies als Wiedergewinnung eines Rechts, das ihnen zusteht und betrachten es auch als eine Art von Wiedergutmachung des Unrechts, das ihrem Vater durch Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft durch die Nazis angetan worden war. Zusammen mit seiner Frau besuchte Edgar Strauss 1990 auf Einladung der Stadt Ludwigshafen seine ehemalige Heimat.

 

Der Lebensweg von Dr. Edgar Strauss endete 2002, Lily Strauss folgte ihm 2008.

Der Stolperstein für Dr. Edgar Strauss wurde am 9. August 2017 vor dem Wohnhaus in der Wredestraße 10a verlegt. Ein weiterer Stein liegt seit dem 14. Oktober 2022 vor dem Lernort Theodor-Heuss-Gymnasium in der Freiastraße.